aussichten: Humorlabor
             
             
   
  
     
         
             
      HUMORLABOR      
             
 
 
Dass Lustigkeit sehr unterschiedliche Ausprägungen kennt, ist keine neue Erkenntnis. 344 Passagiere fasste unsere Boeing 777, und meistens war sie auf der Strecke zwischen Kuala Lumpur und Wien voll besetzt. Wer weiß – vielleicht haben keine zwei Menschen an Bord die gleiche Auffassung davon, was ein guter Witz oder einfach nur unterhaltsam ist? An einem Tag im Dezember 2004 war jedenfalls jemand dabei, der anscheinend ein kleines Experiment im Mikrokosmos der Flugzeugkabine veranstalten wollte.

Eine Ahnung davon bekommen wir zum ersten Mal zwei Stunden nach dem Start, über dem nächtlichen Golf von Bengalen. In einer via Satellit übermittelte Textnachricht aus der firmeneigenen Flugleitzentrale in Wien erkundigt man sich wie beiläufig, ob mit unserem Flug denn so alles in Ordnung sei. Ungewöhnlich. „Ops normal“, erwartete Ankunftszeit, mehr fällt uns dazu nicht ein. Doch bald kommt eine zweite Nachfrage, ob denn wirklich alles in Ordnung sei.

 

     
     

 

     
     

Bei der nächsten Meldung wissen wir dann endlich, dass eine diesen Flug betreffende Entführungsmeldung oder vielleicht auch Drohung vorliegt, und man daher unseren einsilbigen Textnachrichten nur begrenzt Glauben schenkt. Kurze Kontrolle der Cockpittür, Information an die Kabinenbesatzung. Der Versuch, über Satellit eine Sprechverbindung aufzubauen, scheitert. Und der Funkkontakt mit den Kollegen in einer nördlich von uns ihre Bahn ziehenden Boeing 767 reißt gerade in dem Moment ab, als wir die Lage erklären und um Übermittlung einer beruhigenden Nachricht nach Wien bitten wollen. Na ja, wenn das alles ist – aber ist das alles?

Eine ungewisse Stunde dauert es, dann zeichnet sich langsam ein Bild ab: Einer unserer Passagiere, ein Italiener, der bereits in Sydney zugestiegen ist, hat bei der Zwischenlandung in Kuala Lumpur seiner Frau in einer SMS geschrieben, das Flugzeug sei entführt worden. Sie nun war mit der Entscheidung, ob das ernst zu nehmen sei, verständlicherweise überfordert und wandte sich an die Behörden. Und bei denen wieder ist der Humor in diesen Belangen wenig ausgeprägt.

Trotz der Entwarnung und der späteren Identifizierung des fraglichen Passagiers verläuft der Flug in angespannter Atmosphäre. Insbesondere für die Kabinenbesatzung, die keine schützende Tür zwischen sich und möglichen Entführern weiß. Hat man einmal angefangen, über ein konkretes Entführungsszenario nachzudenken, dann ist es schwer, es wieder aus dem Kopf heraus zu bekommen.

Die Landung erfolgt pünktlich und problemlos um 5 Uhr 56, und unser spezieller Gast darf, von drei Beamten begrüßt, als allererster aussteigen. Wie es dann weitergeht, ist nicht überliefert, aber Sicherheitskräfte haben wieder eine eigene Art von Humor. Und es nicht anzunehmen, dass die sich mit der jenes Passagiers deckt. Allzu lange wird man ihn nicht aufgehalten haben, denn klugerweise hat er sein Spiel nicht auf einem Flug in die USA gespielt. Doch wer weiß - vielleicht war, was nach der Rückkehr zu seiner Frau folgte, unangenehmer als die polizeiliche Befragung?