aussichten: Am Fluss
             
             
   
  
     
         
             
      AM FLUSS      
             
 
 
Wenige Reisen, oft genug in ferne Gegenden, haben mich so beeindruckt und sind mir so nachgegangen wie diese.

Als wir uns auf den Weg machen, ist es Herbst; ein Tag voller gebrochenen Sonnenlichts, das bereits verfärbtes Laub bescheint. Zu Beginn kommen wir nur langsam voran; zu ungewohnt noch sind die Packtaschen und die neuen Räder, an denen manches Teil verstellt, manche Schraube festgezogen werden muss.

Aber bald beginnen wir, die Strecke und die Zeit anders zu bemessen als in Kilometern und in Stunden: Nach überquerten Brücken, umfahrenen Feldern, bezwungenen Steigungen, passierten Orten. Immer nahe am Wasser des Flusses.

 

     
     

 

     
     

Zuerst die Saalach, nur ein kurzes Stück; dann die Salzach, die am zweiten Tag im Inn aufgeht. Ein trüber Morgen; einsam ist es hier. Das andere Ufer weit entfernt, und zwischen schilfbewachsenen Inseln verbreiten unzählige Wasservögel einen Eindruck von Geschäftigkeit.

Passau, wo der Inn die Donau trifft, zu Sonnenuntergang. Natürlich, sie sind überall präsent, die Zeugen der Moderne: Straßenlärm, Eisenbahnschienen, Ampeln und Leitungen. Warum dennoch immer dieses Gefühl, sich mit dem Fahrrad nicht nur langsam entlang des Flusses fortzubewegen, sondern auch stetig rückwärts in der Zeit?

Von hier an folgen wir dem Weg der Nibelungen, durch die Urwälder am schlingernden Strom, setzen mit einer winzigen Fähre über, bevor uns tags darauf die Industrieanlagen bei Linz für einige Stunden in die Gegenwart zurückzwingen. Bei Grein umschwärmen uns in feuchter, grauer Luft Milliarden kleiner Fliegen, als sei heute ihr Festtag – wir fliehen nach Ybbs. Dann wird es wieder ruhiger, sonniger auch; das Flusstal weitet sich. Das Bechelaren der Nibelungensage liegt vor uns und gelb das Kloster Melk am Eingang zur Wachau mit ihren Weinbergen. Der letzte Abend, nach langer Quartiersuche, spät in einem mondbeschienen Heurigen mit weitem Blick.

Sechs Tage zwischen Salzburg und Wien – man kann es schneller schaffen, keine Frage. Aber so schwer es mir auch fällt, zu beschreiben, woher diese Fahrt ihre besondere Bedeutung nimmt – eines ist sicher: Es hat etwas mit einem Mangel an Geschwindigkeit zu tun.