aussichten: Agung
             
             
   
  
     
         
             
      AGUNG      
             
 
 

Die Insel Bali verdankt den Vulkanen ihre Existenz, ihre Fruchtbarkeit, aber auch gelegentliche Zerstörungen. Mitten in ihrem Herzen liegt der Gunung Agung, mit 3174 Metern die höchste Erhebung, und dahin zog es mich.

Froh, dem Straßengewirr von Denpasar zu entkommen, fahre ich nach Nordosten, unzählige kleine Dörfer passierend auf Straßen, die alle auf den Berg zulaufen zu schienen. Nur folgerichtig, dass der größte der unzähligen balinesischen Tempel, Besakih, am Hang des Vulkans in etwa 900 Meter Höhe liegt. An einer Stelle, wo er auch beim letzten großen Ausbruch von den Lavaströmen verschont wurde.

 

     
     

 

     
     

Hier in Besakih wartet die erste Überraschung: Ein reichlich dimensionierter Parkplatz zwar, aber abgesehen von mir selbst kein einziger westlicher Besucher. Denn die Reisebusse kommen morgens, bevor sich die tropischen Wolkenmassen um den Gipfel des Berges schließen. Und deshalb muss man den Aufstieg in der Nacht beginnen, wenn man vom oben etwas sehen möchte.

Jetzt, am Nachmittag, streifen Nebelschleier die still daliegende Tempelanlage und vergrößern die Distanzen. Eine unwirkliche Beleuchtung. Ich finde einen Führer, denn der nächtliche Aufstieg ist allein nicht zu empfehlen, und ziehe mich nach einem ausgedehnten Rundgang mit dem Wenigen, was ich an Proviant auftreiben kann, in ein kleines Zimmer zurück.
Kurz nach elf Uhr abends dann geht es vollständig unausgeschlafen los, die Tempelanlage in der Dunkelheit mit langen Schritten querend. Meine Gedanken beschäftigen sich nicht mit dem Vulkan, sondern mit den zahllosen, handspannengroßen Spinnen, die überall zwischen den Bäumen ihre Netze weben, sowie dem Heulen unsichtbarer wilder Hunde. Die Stirnlampen verwenden wir nur selten und an den steileren Stellen; es ist erstaunlich, wie sehr sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnen. Und auch wenn der Mond anfangs noch fehlt, spenden uns erst Glühwürmchen, später dann immer mehr Sterne ihr Licht.

Vier Stunden lang steigen wir empor durch einen beinahe unsichtbaren Wald, der nur gelegentlich Ausblicke auf die Lichter der Insel unter uns gestattet. Plötzlich und überraschend tut sich der Himmel auf, ändert sich der Untergrund, und einen steinigen Rücken entlang geht es weiter bergan. Die Luft hat sich merklich abgekühlt, und die Sterne stehen klarer über uns als je zuvor.

Eine knappe Stunde vor Sonnenaufgang erreichen wir den höchsten Punkt am Kraterrand. Auch mein balinesischer Führer ist sichtlich müde, und so rollen wir uns zwischen den Felsen zusammen und schlafen eine Weile auf dem harten Untergrund. Die zunehmende Helligkeit weckt uns bald wieder, langsam treten die Konturen der Umgebung deutlicher hervor, weit reicht der Blick.
Schließlich berührt die Sonne den Horizont und zeichnet den kegelförmigen Schatten des Vulkans auf die dunstige Leinwand der Atmosphäre. Die Wolken haben bereits ihr tägliches Spiel begonnen, wachsen zusehends empor, dem Gipfel entgegen. Wir machen uns wieder auf den Weg. Bald schon hüllt Nebel uns ein, während es durch die beim Aufstieg verborgenen, sich mit der Höhe verändernden, nahezu unberührten Wälder weiter bergab geht. Gegen Mittag erreichten wir Besakih; dankbar und zufrieden trotz der erschöpfenden Kombination aus Müdigkeit, Hunger und den von immerhin 4400 Höhenmetern schmerzenden Beinen.

Deren Belohnung ist dann, nach dreistündiger Fahrt hinunter an die Küste, eine ausgedehnte Massage. Für den Magen gibt es etwas Gutes mit Reis und in Blättern verpacktem Hühnerfleisch. Und für die Seele den Ausblick auf das Wasser, die wärmende Sonne, den Vulkan immer im Rücken.