aussichten: Ladakh
             
             
   
  
     
         
             
      LADAKH      
             
 
 
Gerade mal eine Flugstunde nördlich von Delhi, aber schon jenseits der höchsten Berge unweit der umstrittenen Grenze Kaschmirs und eines von China beanspruchten Zipfels von Indien, Stützpunkt tausender von Soldaten, und Heimat eines friedfertigen Volkes: Das ist Ladakh.

Hier, im äußersten Norden des Vielvölkerstaates, hat die andernorts seit der chinesischen Kulturrevolution so unterdrückte tibetisch-buddhistische Kultur sich unverfälscht erhalten. Mit ihren Klöstern und Tempelfesten, die, noch, auch den Fremden teilhaben lassen, ohne museal oder kommerziell zu werden.

 

     
     

 

     
     

Unsere Reise beginnt jedoch mit einer Ernüchterung: Bergschuhe, Schlafsäcke, ein ganzer Koffer voll Ausrüstung haben Delhi nicht mit uns erreicht. Warten unmöglich: Nur ein täglicher, im Sommer ausgebuchter Flug bringt Passagiere nach Leh, in die Hauptstadt Ladakhs. Nachsenden ist aus Sicherheitsgründen nicht möglich, so sagt man uns. Incredible India.
Dann die Ankunft in der Gebirgslandschaft, unter diesem weiten Himmel, die den Ärger vergessen lässt. Auf dem Dach unserer einfachen Unterkunft die klare Höhenluft atmend, zu Füßen des alten Palastes und des Klosters auf der Spitze des Berges. In der Dämmerung im Osten ein Gewitter; der Mond bescheint die höchsten Gipfel, schneebedeckt.

Nach zwei Tagen der Eingewöhnung, bemüht, das Fehlende nachzukaufen oder auszuleihen, brechen wir auf zum fünf Busstunden entfernten, mehr als tausend Jahre alten Kloster Lamayuru. Von dort wollen wir in einer knappen Woche einem Gebirgspfad zurück nach Leh folgen. Das Kloster ist ein stiller Ort, aber als wir uns am nächsten Morgen auf den Weg machen und den ersten Pass, den Pass der Eidechse, überschritten haben, ist es, als beträten wir eine andere Welt.

Vereinzelte Dörfer am Fluss. Grüßende Menschen, am Hang oberhalb schlanke Pappeln vor einem unermesslich blauen Himmel. Leuchtend grüne Felder, über ein Netz schmaler Gräben sorgfältig bewässert. Müßige Esel, spielende Kinder, kein einziges Geschäft. Es gibt nichts zu kaufen, allenfalls tauschen könnten wir hier. Oder um etwas bitten.

Aber wir sind gut verpflegt, und hoffen darauf, dass unser Gepäck bald leichter wird. Langsamer als erwartet kommen wir voran mit der doch unterschätzten Last. Am Abend findet sich ein Zeltplatz an einer Flussbiegung.

Fünf Tage geht es so, über drei Pässe, bis auf knapp 5000 Meter hoch. Vorbei an schneebedeckten Gipfeln, Opferstätten und Gebetsfahnen. In der Nacht heulen Wölfe, aber wir schlafen gut; tagsüber begegnen wir ihrer bevorzugten Beute, wilden Blauschafen. Einmal regnet es leicht, ansonsten nur Sonne und gelegentlich ein paar Wolken. Am vorletzten Tag verlieren wir den Pfad und winden uns über Stunden durch dorniges Gesträuch.

Den letzten Pass lassen wir aus. Wir haben nicht mehr viel zu essen und fühlen uns ausgelaugt. Auf gutem, aber langem Weg, einem Flusslauf folgend, geht es wieder zur Straße: Die letzte Nacht verbringen wir ohne Zelt unter einem sternklaren Himmel. In Leh bekommen wir unseren Koffer zurück. Nicht die indische Bürokratie hat ihn aufgehalten; in Wien ist er fehlgeleitet worden und hat inzwischen Zeit in Hong Kong verbracht.


Wir belohnen uns für die Entbehrungen des Weges mit einem behaglichen, fast schon luxuriösen Zimmer – was für ein Genuss die erste Dusche, die frisch bereitete warme Mahlzeit, die Geborgenheit der Zivilisation! Wie sehr man diese Dinge wieder schätzt, wie schnell man sich wieder an sie gewöhnt. Und wie bald man dann wieder Sehnsucht hat nach Stille, Einfachheit, und einer Landschaft, die die hier lebenden Menschen mehr formt, als es umgekehrt der Fall ist.