aussichten: Flugangst
             
             
   
  
     
         
             
      FLUGANGST      
                  
 

Die unangenehmsten Momente
für Passagiere mit Flugangst: Start...

...und Landung.

 

 

 

Gewitter werden umflogen...

...Flugsicherung, automatische Warnsysteme
und wachsame Augen sorgen dafür, dass
sich Flugzeuge nicht zu nahe kommen.

 

 

Der Herbst ist da, und für die frühe Stunde unserer morgendlichen Ankunft in Wien ist ein frischer Wind mit Spitzen bis zu 60 Stundenkilometern angesagt. Es reicht schon, dass die Luft mit dieser immer noch mäßigen Geschwindigkeit über die Hügel, Häuser und Baumwipfel Niederösterreichs streicht, um jene Turbulenzen entstehen zu lassen, die so manchen Passagier in Angst versetzen.

Flugangst ist kein Einzelschicksal. Die knappe Hälfte der Reisenden dürfte auf die eine oder andere Art, auf unterschiedlichen Niveaus, auf einem ganz normalen Flug um ihre Sicherheit besorgt sein. Dass es ausreichend Belege für die hohen Sicherheitsstandards in der Passagierluftfahrt gibt, ändert daran wenig. Die Angst sitzt tiefer. Schließlich ist der Mensch erst seit etwas mehr als hundert Jahren in der Lage, sich in die Luft zu erheben, und nichts in den Jahrmillionen seiner Evolution hat ihn psychisch darauf vorbereitet.

Hinzu kommen Reisestress, Aufregung, die Enge in der Flugzeugkabine. Die Unmöglichkeit des Blicks nach vorne und die zahllosen ungewohnten Geräusche. Wer selten fliegt, vermutet im schlimmsten Fall hinter jeder Änderung des erwarteten Ablaufs, hinter jedem als ungewöhnlich wahrgenommenen Umstand, den Abgrund der Katastrophe. Und schließlich – es passieren ja auch regelmäßig Unglücke, jedes Jahr wieder.

 

Dass die Wahrscheinlichkeit solcher Unglücke bei renommierten Fluggesellschaften kleiner ist als eins zu eine Million, ist zwar bemerkenswert, in der Praxis aber oft ein geringer Trost. Wir haben einfach kein Gefühl für die Bewertung von Gefahren in dieser Größenordnung.

Und doch lohnt es sich, darüber nachzudenken: Im Alltag gehen wir fast täglich sehr viel höhere Risiken bedenkenlos ein. Im Auto, auf dem Fahrrad, beim Freizeitsport, oder - nach der ereignislosen Ankunft am Zielflughafen - unangeschnallt im Reisebus auf den Bergstraßen unseres Traumurlaubslandes. Das Risiko eines tödlichen Autounfalls liegt, über das ganze Leben gerechnet, bei etwa 3% - man müsste mehr als 30.000 Mal fliegen, um in der Luft einen ähnlichen Wert zu erreichen.

Symptomatisch für Flugangst ist auch, dass die Angst vor dem Absturz oft der Vermeidung konkreterer Gefahren im Wege steht. Turbulenz zum Beispiel, die von Passagieren bereits als erheblich und bedrohlich wahrgenommen wird, ist für das Flugzeug in aller Regel unproblematisch. Denn das ist einerseits extrem stabil und dabei überraschend flexibel gebaut, und macht andererseits teilweise die Bewegungen der Luft einfach mit. Ähnlich wie ein Blatt, das unbeschadet auf der Oberfläche eines bewegten Gebirgsbachs reist – es folgt den Strömungen des Wassers.

Sehr viel empfindlicher als das Flugzeug aber ist der menschliche Körper. Und der sollte deshalb, wann immer möglich, während des gesamten Fluges angeschnallt sein. Jedes Jahr wieder gibt es vermeidbare, schwere Verletzungen, weil unangeschnallte Passagiere stürzen – oder weil entgegen aller Sicherheitshinweise überschweres Handgepäck über den Köpfen verstaut wurde.

 

Flugangst ist qualvoll für diejenigen, die ihr zum Trotz fliegen wollen oder müssen. Airlines bieten Seminare an, in denen Psychologen und Piloten auf der Basis von Wissen und Entspannungstechniken versuchen, der Furcht den Boden zu entziehen. Den Abschluss bildet normalerweise ein Flug – hin und zurück -, auf dem das Gelernte ausprobiert und angewendet wird.

Einige Male hatte ich die Gelegenheit, bei einem solchen Abschlussflug dabei zu sein, und das war eine ausgesprochen positive Erfahrung. Die am stärksten leidenden Teilnehmer ließen wir zu Start oder Landung im Cockpit Platz nehmen, und das erwies sich immer wieder als sehr heilsam. Vielleicht, weil dann offensichtlich wird, dass die Arbeit dort völlig ruhig, entspannt, systematisch und ohne Aufregungen abläuft. Vielleicht ist es auch einfach die freie Sicht nach vorne.

Die bleibt zugegebenermaßen für Passagiere die Ausnahme. Und doch wäre es schön, wenn es mehr Menschen leichter fiele, Flugreisen nicht als notwendiges Übel oder gar mit Schrecken zu erleben, sondern sich an der Schönheit so mancher Aussicht von oben zu erfreuen.

 

     
       

» Buchvorstellung: Flugangst aus zweiter Hand

» Blog: Die Flugangstmacher

» Einsichten: Katastrophenjournalismus