aussichten: Shackleton
             
             
   
  
     
         
             
      SHACKLETON      
             
 
 

Kennen Sie Sir Ernest Shackleton? Er hat in den letzten Jahren einiges an Aufmerksamkeit erhalten. Und zwar, weil er nicht am Südpol war. Das trifft natürlich auf viele Menschen zu - aber seine Geschichte des Nicht-dagewesen-seins ist eine besondere.

Shackleton war schon mit Robert Falcon Scott in der Antarktis gewesen. Nach einer Folgeexpedition in Eigenregie galt er drei Jahre lang als der Mensch, der sich dem Südpol am weitesten angenähert hatte – bis auf 180 Kilometer.

1912 erreichte dann allerdings Amundsen als Erster den südlichsten Punkt der Erde. Scott traf einen Monat später ein, um auf dem Rückweg mit vier seiner Gefährten entkräftet zu sterben. Als Shackleton in unermüdlicher Anstrengung die Mittel für eine neue Unternehmung, die Expedition der Endurance, beschaffte, war der Pol also schon erobert, wie man das nicht nur damals so gerne nannte. Ihm schwebte etwas anderes vor: die vollständige Durchquerung der Antarktis zu Fuß und mit Schlittenhunden.

Hierfür wählte er auf unkonventionelle Art 26 Teilnehmer aus, die aus unterschiedlichsten Schichten stammten und zu denen sich später noch ein Blinder Passagier gesellte. Wenige Tage vor der Einschiffung begann der Erste Weltkrieg, und Shackleton bot sein Schiff und seine Dienste der britischen Marine an. Doch man hieß ihn, sein Unternehmen zu beginnen.

Also fuhr er ab, es war der 1. August 1914, und in der Antarktis begann ein ungewöhnlich kalter Sommer. So geschah es, dass das Schiff im Eis des Weddell-Meeres festfror. Man befand sich nur mehr zwei Tagesreisen von der Landungsstelle entfernt, wo die Überquerung Antarktikas beginnen sollte: Doch ein Transport von Ausrüstung und Schlitten über das unregelmäßige Eis erwies sich als unmöglich, und der Versuch, eine Fahrrinne freizuschlagen, scheiterte. Man saß fest. Und musste den Winter abwarten. Ein ziemlicher Rückschlag.

Die Stimmung blieb positiv. Man richtete sich ein, so gut es ging, spielte Fußball auf dem Eis. Shackleton etablierte feste Gewohnheiten und Traditionen, die Heimatgefühl und Lebensfreude vermittelten. Es wurde musiziert und gefeiert. Die anfallenden Arbeiten erledigten alle gemeinsam, vom Offizier bis zum Matrosen. Das war keineswegs selbstverständlich und schaffte Zusammenhalt über die Standesgrenzen hinweg.

Doch währenddessen erhöhte sich der Druck auf den hölzernen Schiffsrumpf durch das in langsamer Bewegung begriffene Packeis. Bald war klar, dass die Endurance diesem nicht mehr lange standhalten konnte. Shackleton ließ Vorräte und Material von Bord bringen, und auf dem Eis entstand ein Camp. Von dort sahen die Männer zu, wie ihr Schiff, ihre Heimat in dieser Eiswüste, zerdrückt wurde und sank.

Von jetzt an gab es nur ein Ziel: Überleben. Das Eis schob sich weiter nach Norden und begann zu schmelzen. Zwei Vorstöße, mit Schlitten zum Festland zu gelangen, schlugen fehl. Schließlich blieb nur noch eine Möglichkeit: Die Männer versuchten, mit drei kleinen Rettungsbooten eine mehrere hundert Kilometer entfernte Insel zu erreichen.

Nach mehrtägiger, entbehrungsreicher Seereise über eines der stürmischsten Meere der Welt gelangte die Expedition an die Küste einer unbewohnten, felsigen Insel: Elephant Island. Aus zwei Booten zimmerten die Männer eine behelfsmäßige Unterkunft, während das dritte für ein ungeheures Wagnis umgebaut wurde.

Zwar gab es auf Elephant Island mehr als genug Robben und Pinguine, um die Mannschaft zu ernähren, aber die Chance auf Rettung war gering. Deshalb brach Shackleton mit fünf seiner stärksten Männer auf, um die Walfangstation auf der knapp 1300 km entfernten Insel South Georgia anzusteuern.

Dass das gelang, ist angesichts der Bedingungen, unter denen navigiert werden musste, eine unglaubliche Leistung. Nach fünfzehn Tagen erreichten sie die Insel, wo ein Sturm sie empfing. Eine Landung war nur auf der unbewohnten Seite, weit von der Station entfernt, möglich. Also machte Shackleton sich mit den beiden Männern auf, die noch am besten bei Kräften waren. Nachdem sie die Sohlen ihrer Schuhe mit Nägeln in behelfsmäßige Steigeisen verwandelt hatten, überquerten sie in einem mehrtägigen Fußmarsch fast ohne Rast die vergletscherte, gebirgige Insel.

Es dauerte noch drei weitere Monate, bevor die Rettung der auf Elephant Island zurückgebliebenen Mannschaft gelang. Mehr als zwei Jahre waren seit der Abreise in England vergangen. Trotz widrigster Bedingungen konnte Shackleton jeden einzelnen Mann heil zurück nach Hause bringen.

Dafür, so ist es einhellig in den Tagebüchern der Expeditionsteilnehmer zu lesen, waren Shackletons Führungsqualitäten verantwortlich. Er war ein beständiger Optimist und Motivator und kannte nach dem Scheitern der eigentlichen Expedition nur ein Ziel – die Rettung seiner Mannschaft. Er war nicht zu eitel, Fehleinschätzungen ohne Verzug zu korrigieren, und kümmerte sich besonders um die Unzufriedenen. Er tat alles, um Unterhaltung und ein Minimum an Komfort zu ermöglichen und förderte den Zusammenhalt über die Klassengrenzen hinweg. Vor allem gab er stets selbst sein Bestes, verzichtete oft zu Gunsten anderer und gönnte sich nichts, was dem Rest der Mannschaft verwehrt blieb. Nur eines verzieh er nie: Einen Meutereiversuch des Zimmermanns McNeish.

Als die Mannschaft schließlich in England eintraf, war der Erste Weltkrieg in vollem Gange. Helden waren meist tot, Shackleton und die Seinen aber lebten, und ihre Leistung wurde eher am Rande wahrgenommen. Jahre später - einige der Expeditionsteilnehmer hatten inzwischen tatsächlich auf dem Schlachtfeld ihr Leben gelassen - brach Shackleton wieder in die Antarktis auf, mit dabei ein paar seiner alten Kameraden. Auf South Georgia, noch vor Beginn der eigentlichen Expedition, starb er 1922 siebenundvierzigjährig an einem Herzinfarkt, und hier liegt er begraben.


Hätte Shackleton seinen ursprünglichen Plan verwirklicht und den antarktischen Kontinent zu Fuß überquert: Kaum einer würde ihn wohl heute noch kennen. So aber hat man Bücher geschrieben über ihn, Dokumentationen gedreht, ein Spielfilm sogar. Und präsentiert in einschlägigen Seminaren Führungskräften sein Beispiel auch als Weg zu weniger idealistischen Zielen.

So kennen wir ihn heute wieder, weil er den Südpol nicht erreicht hat. Weil seine Geschichte inspiriert und zum Nachdenken über Optimismus, Selbstlosigkeit und Entschlossenheit anregt.

     
     
Quelle Karte: http://main.wgbh.org/imax/shackleton/sirernest-three.html